Stresssituation für LKW-Fahrer: Das Abbiegen in eine andere Straße. Blinker setzen, Spiegel checken und vorsichtig losfahren. Mehr kann ein Fahrer nicht tun. Hilfreich wären dabei zwei bis drei Augenpaare mehr. Sie könnten für Fahrradfahrer und Fußgänger, die die Straße überqueren, sogar lebensrettend sein. Aber mehr als zwei Augen hat der Mensch nun einmal nicht. Gut, dass es technische Hilfsmittel gibt: Der Abbiegeassistent könnte Leben retten. Aber nur, wenn man ihn hat. Wir haben uns für Stories from the Tanke schlau gemacht, was ein Abbiegeassistent so alles kann und was es bedeutet, wenn er zur Pflicht wird.

Gefahr für Fahrradfahrer und Fußgänger

Abbiegende LKW – und auch Autos – sind für Fahrradfahrer und Fußgänger eine tödliche Gefahr. Laut einem Bericht aus September 2019 gab es mehr als 3000 Zusammenstöße zwischen Radlern und LKW, bei denen rund 700 Fahrradfahrer verletzt wurden. Nach Angaben des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) starben im Jahr 2018 insgesamt 34 Fahrradfahrer, weil sie von abbiegenden LKW übersehen wurden. Auch in den Jahren davor lag die Zahl bei um die 30 Todesopfern.

Die Schuldigen sind schnell gefunden. Der Trucker hätte besser gucken müssen, war unvorsichtig oder zu schnell. Und klar, so sieht es die Straßenverkehrsordnung vor: Fußgänger, die die Straße überqueren, in die man einbiegt, haben Vorrang. Von stärkeren Verkehrsteilnehmern wird Rücksichtnahme und Sorgfalt gefordert.

Nur wenige machen sich Gedanken darüber, dass LKW-Fahrer nicht mit Absicht Fahrradfahrer und Fußgänger übersehen. Und kaum ein Fahrradfahrer ist sich bewusst, dass er sich möglicherweise im toten Winkel des LKW neben sich aufhält. Schuld sind also nicht die Trucker und auch nicht die Fahrradfahrer. Schuld ist eine andere Größe in der Gleichung, nämlich der tote Winkel. Die meisten großen Zugmaschinen sind heute mit sechs Außenspiegeln ausgestattet. Zwei links, drei rechts und einer vorne. Trotzdem ist der tote Winkel immer noch zu groß. Ein Problem dürfte auch sein, dass LKW-Fahrer nicht in alle Spiegel gleichzeitig schauen können.

Funktion und Vorteile

Ein kleines technisches Hilfsmittel könnte Abhilfe schaffen und viele dieser Unfälle verhindern: Der Abbiegeassistent. Dabei machen eine Kamera, die in der Beifahrertür angebracht ist, und ein zusätzlicher Sensor den gesamten toten Winkel für den Fahrer einsehbar. Der Abbiegeassistent ist aktiviert, sobald der Blinker gesetzt wird. Er erkennt Fußgänger und Fahrradfahrer im toten Winkel und warnt den Fahrer über ein akustisches und/oder visuelles Signal. Außerdem kann der LKW-Fahrer auch über einen Bildschirm im Führerhaus beobachten, was im toten Winkel passiert. Was der Abbiegeassistent nicht macht, ist selbstständig eingreifen und eine automatische Notbremse vollziehen. Aber auch solche Systeme sind technisch möglich (aktuell werden sie nur von Mercedes angeboten und nur selten tatsächlich eingebaut). Sie könnten schon bald in Serie gehen.

Wird der Abbiegeassistent zur Pflicht?

Die Forderung nach einer Pflicht für Abbiegeassistenten in LKW werden immer lauter. Die Grünen haben nun prüfen lassen, ob eine solche Regelung rechtens wäre. Und das wäre sie. Demnach dürften in Städten nur noch LKW fahren, die sicher sind. Legt man das Gesetz entsprechend aus, würde der Abbiegeassistent zur Pflicht. Die schnelle Einführung einer solchen Regelung sieht auch der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD vor. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer verweist dabei aber auf EU-Recht. Und die EU wird eine entsprechende Verordnung wahrscheinlich erst ab 2022 durchsetzen. Ob eine Pflicht auch für Abbiegeassistenten gilt, die automatisch bremsen, ist noch unklar. Dafür müssen zunächst wahrscheinlich auch die technischen Voraussetzungen geschaffen werden.

Bis dahin setzt die Bundesregierung auf die freiwillige Nach- und Ausrüstung von LKW durch Logistikunternehmen. Damit Unternehmer auch bereit sind, in die Sicherheit zu investieren, stellt der Bund seit Sommer vergangenen Jahres fünf Millionen Euro Fördergeld pro Jahr bereit. Mit gutem Beispiel voran gehen inzwischen viele Supermarktketten, die den Einbau der Abbiegeassistenten auch nutzen, um ihr Image zu verbessern.

Was der Abbiegeassistent bedeutet

Dass ein Abbiegeassistent Leben retten kann, steht außer Frage. Er sorgt dafür, dass es den toten Winkel nicht mehr gibt. Trotzdem muss klar sein: Die Verantwortung trägt immer noch derjenige, der den LKW fährt. Denn Technik kann ausfallen und wenn das passiert, muss der Fahrer trotzdem reagieren. Außerdem warnen Abbiegeassistenten aktuell nur, sie bremsen nicht. Noch nicht. Trotzdem sorgt der Abbiegeassistent für mehr Sicherheit und dürfte vielen LKW-Fahrern auch die ein oder andere Stresssituation ersparen. Eine entsprechende Gesetzänderung wäre also durchaus sinnvoll. Bleibt die Frage: Wie steht ihr zu dem Thema?